Zwangsrekrutierte Hilfssheriffs
Provider bleiben auch nach dem Urteil des BVerfG verhaftet
Das Urteil des Bundesverfassungsgerichts in Sachen Vorratsdatenspeicherung erfreut heute so manchen. Zurecht dürfen sich Bürgerrechtler, die das Verfahren maßgeblich betrieben haben (AK Vorrat, FoeBud, CCC), über den Ausgang des Verfahrens freuen. Möglich aber, dass dies nur eine Schlacht war, der 'Krieg' aber weiter geführt werden muss. Und hier gibt es eine bittere Pille zu schlucken. Denn das BVerfG hält die weitere Inanspruchnahme der Telekommunikationsunternehmen als Hilfssheriffs für Zwecke der staatlichen Sicherheit für gerechtfertigt:
"Demgegenüber sind die angegriffenen Vorschriften hinsichtlich Art. 12 Abs. 1 GG, soweit in diesem Verfahren hierüber zu entscheiden ist, keinen verfassungsrechtlichen Bedenken ausgesetzt. Die Auferlegung der Speicherungspflicht wirkt gegenüber den betroffenen Diensteanbietern typischerweise nicht übermäßig belastend. (...) So wie die Telekommunikationsunternehmen die neuen Chancen der Telekommunikationstechnik zur Gewinnerzielung nutzen können, müssen sie auch die Kosten für die Einhegung der neuen Sicherheitsrisiken, die mit der Telekommunikation verbunden sind, übernehmen und in ihren Preisen verarbeiten."
Diese Argumentation halte ich so für nicht richtig und bedenklich:
- Das Bundesverfassungsgericht hält die Vorratsdatenspeicherung auch gerade deshalb für grundsätzlich zulässig, weil die private Speicherung der Daten einen unmittelbaren Zugriff des Staates ausschließt:
"Trotz der außerordentlichen Streubreite und des mit ihr verbundenen Eingriffsgewichts ist dem Gesetzgeber die Einführung einer sechsmonatigen Speicherungspflicht (...) verfassungsrechtlich nicht schlechthin verboten. (...) Maßgeblich ist hierfür zunächst, dass die vorgesehene Speicherung der Telekommunikationsverkehrsdaten nicht direkt durch den Staat, sondern durch eine Verpflichtung der privaten Diensteanbieter verwirklicht wird. Die Daten werden damit bei der Speicherung selbst noch nicht zusammengeführt, sondern bleiben verteilt auf viele Einzelunternehmen und stehen dem Staat unmittelbar als Gesamtheit nicht zur Verfügung. Dieser hat insbesondere, was durch entsprechende Regelungen und technische Vorkehrungen sicherzustellen ist, keinen direkten Zugriff auf die Daten. Der Abruf der Daten seitens staatlicher Stellen erfolgt erst in einem zweiten Schritt und nunmehr anlassbezogen nach rechtlich näher festgelegten Kriterien. (...) Die Trennung von Speicherung und Abruf fördert strukturell zugleich die - durch gesetzliche Ausgestaltung näher zu gewährleistende - Transparenz und Kontrolle der Datenverwendung."
Die Indienstnahme der Telekommunikationsunternehmen erfolgt also nach dieser Argumentation auch und gerade deshalb, um einen zentralen Vorratsdatenpool beim Staat (Bundesverwaltungsamt?) zu vermeiden. Der Staat bedient sich privater Telkos zur dezentralen Speicherung von Vorratsdaten, weil ihm selbst nicht zu trauen ist. Und er vermeidet damit, dass die Speicherung insgesamt womöglich nicht verfassungsgemäß wäre. So werden ISP zu Hütern der Vorratsdaten und der Verfassung. - Das Sicherheitsrisiko deretwegen die Vorratsdatenspeicherung eingeführt wurde, ergab sich aus der Verwendung ganz analoger Instrumente des brutalen Terrorismus:
Über den Urheber der Anschläge, Osama bin Laden, wird derzeit vermutet, dass er sich in den Bergen Waziristans an einem offenen Feuer und ein paar Ziegenfellen wärmt - aber: auf die Segnungen moderner Kommunikationsmittel weitgehend verzichtet, weil das Verfolgungsrisiko zu hoch wäre.
Die Risiken des modernen Terrorismus sind nicht allein und wohl nicht einmal hauptsächlich den "Sicherheitsrisiken, die mit der Telekommunikation verbunden sind," zu verdanken. Hier irrt das BVerfG schlicht. - Das BVerfG meint, die Telekommunikationsunternehmen sollten doch die Kosten der Vorratsdatenspeicherung "in ihren Preisen verarbeiten". Was nichts anderes bedeutet, als: jeder Kunde zahlt seine eigene Überwachung/Vorratsdatenspeicherung selbst. Das ist faktisch richtig, kann aber nicht die Antwort des BVerfG sein. Denn man muss kein Handy oder einen Internet-Anschluss besitzen und nicht einmal Vielflieger sein, um potentiell Opfer eines Terroranschlages zu sein. Trotzdem wird die staatlich angeordnete Sicherheitsmaßnahme - hier: Vorratsdatenspeicherung - nur von einem Teil der Bevölkerung bezahlt. Das scheint mir eher fiskalischen Kalkulationen als sauberen Begründungen geschuldet.
Das wesentliche Risiko ist doch: Wenn der Staat nicht bereit ist, die Kosten der für notwendig erachteten Maßnahmen selbst aus Steuermitteln zu bezahlen, wird er fleißig weiter die Provider und Telekommunikationsunternehmen als Hilfssheriff rekrutieren und für Zwecke der Politik verhaften.
MartinF - 2. Mär, 21:56
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