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Freitag, 15. Januar 2010

Neues aus dem deutschen Intranet

Keimfrei, jugendfrei - frei von Inhalten?

Das deutsche Jugendschutzrecht zeichnet sich nicht gerade durch einen Mangel an regulierenden Vorschriften aus. Wenn es um die Rechtslage geht, dann dürfte es Jugendliche mit Entwicklungsstörungen oder -beeinträchtigungen nicht geben. Leider hält sich die Wirklichkeit nicht immer an Gesetze. Man mag die Lebenswirklichkeit für defizitär halten, weil sie offenbar nicht der Rationalität eines Gesetzgebers zu folgen vermag. Um die Kluft zwischen Rechtslage und Wirklichkeit zu überbrücken, hat der Gesetzgeber aber ein probates Mittel - nämlich Gesetzesverschärfungen.

Alvar Freude hat in seinem Blog den Entwurf eines neuen Jugendmedienschutz-Staatsvertrages veröffentlicht. Mit diesem Entwurf machen die Bundesländer nichts anderes als die "Wirklichkeit mit Gesetzen zu beschimpfen" (Zitat Ulrich Clauß). Offenbar ist aber bei Vielen noch nicht angekommen, welches Potential dieser Entwurf hat. Thomas Stadler untertreibt ganz bedeutend, wenn er in seinem Blog titelt, "Provider sollen stärker in den Jugendschutz eingebunden werden".

Worum geht es: Der Entwurf fingiert einfach, dass Anbieter im Sinne des Jugendschutzes auch ist, wer den "Zugang zu fremden Telemedien vermittelt" (§ 3 Nr. 2). Das bedeutet: Zugangsprovider, also jeder ISP, gilt auch für fremde Telemedien (=Internetseiten) als Anbieter im Sinne des Jugendschutzes. Der ISP ist also für alle Internetseiten jugendschutzrechtlich nach diesem Entwurf als "Anbieter" verantwortlich. Wenn man nun in dem Entwurf des Staatsvertrages das Wort "Anbieter" durch "Zugangsprovider" ersetzt, ergibt das zum Beispiel:

§ 5 Entwicklungsbeeinträchtigende Angebote

(1) Sofern Zugangsprovider Angebote, die geeignet sind, die Entwicklung von Kindern oder Jugendlichen zu einer eigenverantwortlichen und gemeinschaftsfähigen Persönlichkeit zu beeinträchtigen, (…) zugänglich machen, haben sie dafür Sorge zu tragen, dass Kinder oder Jugendliche der betroffenen Altersstufen sie üblicherweise nicht wahrnehmen. Die Altersstufen sind:

1. ab 6 Jahren,
2. ab 12 Jahren,
3. ab 16 Jahren,
4. ab 18 Jahren. (…)

(4) Der Zugangsprovider kann seiner Pflicht aus Absatz 1 dadurch entsprechen, dass er

1. durch technische oder sonstige Mittel die Wahrnehmung des Angebots durch Kinder oder Jugendliche der betroffenen Altersstufe unmöglich macht oder wesentlich erschwert oder
2. die Zeit, in der die Angebote verbreitet oder zugänglich gemacht werden, so wählt, dass Kinder oder Jugendliche der betroffenen Altersstufe üblicherweise die Angebote nicht wahrnehmen.

(5) Ist eine entwicklungsbeeinträchtigende Wirkung im Sinne von Absatz 1 auf Kinder oder Jugendliche anzunehmen, erfüllt der Zugangsprovider seine Verpflichtung nach Absatz 1, wenn das Angebot nur zwischen 23 Uhr und 6 Uhr (...) zugänglich gemacht wird. Wenn eine entwicklungsbeeinträchtigende Wirkung auf Kinder oder Jugendliche unter 16 Jahren zu befürchten ist, erfüllt der Zugangsprovider seine Verpflichtung nach Absatz 1, wenn das Angebot nur zwischen 22 Uhr und 6 Uhr (…) zugänglich gemacht wird. Bei der Wahl der Sendezeit und des Sendeumfelds für Angebote der Altersstufe „ab 12 Jahren“ ist dem Wohl jüngerer Kinder Rechnung zu tragen.


Kein ISP dürfte in der Lage sein, für jugendschutzrelevante Inhalte Sendezeitbeschränkungen einzurichten. Und wie sollte wohl der Provider erkennen können, ob gerade der schon lange volljährige Vater oder sein 11 Jahre alter Sohn surft. Bleibt die Möglichkeit, die der Entwurf auch vorsieht, nämlich den Zugang zu den Angeboten zu erschweren. Und zwar für alle. Genauso, wie schon jetzt aus Gründen des Jugendschutzes Google die deutschen Suchergebnisse 'zensiert' - ausnahmslos und für alle deutschen Nutzer.

Wenn der Jugendmedienschutz-Staatsvertrag so in Kraft tritt, bekommen wir potentiell ein "Zugangserschwerungsgesetz" für
  • verfassungsfeindliche oder
  • zum Hass gegen nationale, rassische, religiöse Gruppen aufstachelnde oder
  • grausame und sonst unmenschliche Gewalttätigkeiten gegen Menschen in einer Art schildernde oder
  • den Krieg verherrlichende oder
  • gegen die Menschenwürde verstoßende oder
  • pornographische
Internetseiten.

Wäre es nicht einfacher, man würde - nur zu deren Schutz und Wohl selbstverständlich - Minderjährigen das Internet verbieten? Keimfrei, jugendfrei oder frei von Inhalten - wie hätten wir es denn gerne?

Das Jahr beginnt mit einem neuen Vorstoß, aus dem internationalen Internet ein nationales Deutschland-Net zu formen. Doppelplusungut - auch wenn es um Jugendschutz geht.

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